Zeich-KalenderMeine Eltern haben sich getrennt, als ich zwei Jahre alt war. Deshalb konnte ich sie mir später auch nie wirklich zusammen vorstellen, ich hatte an unsere gemeinsame Zeit einfach keine Erinnerung mehr. Meine Mama meinte, es wäre für mich ziemlich schwer gewesen und hätte sich damals durch Hautausschläge und Albträume geäußert. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich mir trotzdem nie gewünscht, dass sie wieder ein Paar werden sollten. Auch jetzt wünsche ich es mir nicht, wegen der Erfahrungen, die ich sonst nicht gemacht hätte, wegen der Leute, die ich nie kennengelernt hätte.

Nachdem sich meine Eltern getrennt hatten, war der größte Vorteil, gleich zwei Wohnungen zu haben: Zwei Kinderzimmer und immer jemand, der dich vermisst, sich auf dich freut und dich dementsprechend verwöhnt. Wir haben von Anfang an das Woche-Woche-Wechselmodell genommen, wofür ich sehr dankbar bin. Ich konnte mir nicht vorstellen, mich für einen Elternteil zu entscheiden, wie das andere Kinder vielleicht machen müssen.

Natürlich gab es auch Nachteile: Das ständige Hin und Her, immer seine ganzen Sachen von A nach B zu transportieren und das Sich-Neu-Eingewöhnen. Man hat eben nicht nur ein Leben, sondern eigentlich zwei. Bei Papa war es eben anders als bei Mama. Es gab andere Regeln, einen anderen Tagesablauf, andere Gesichter.
Papa hatte ziemlich bald nach der Trennung eine neue Freundin, die ich sehr gemocht habe. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, stundenlang gemalt und Hörspiele gehört. Trotzdem habe ich sie nie als eine Art Ersatzmutter oder so etwas gesehen. Sie war immer eher eine gute Freundin für mich. Als ich sieben war, haben die beiden dann meinen kleinen Halbbruder bekommen, der für mich von Anfang an immer nur mein kleiner Bruder war. Auch wenn mich die Vorstellung, dass Papa jetzt noch ein Kind hatte, das immer bei ihm war, teilweise ziemlich eifersüchtig machte.

Mama hatte in den 10 Jahren, in denen Papa mit der Freundin zusammen war, drei verschiedene Freunde, worüber wir später immer sagten, dass jeder Freund wie eine neue, andere Phase in unserem Leben war. Aber alle haben sie sich immer sehr viel Mühe mit mir gegeben. Besonders wichtig war mir sowohl bei Papas als auch bei Mamas neuen Partnern, dass sie sich nie in die Erziehung einmischten. Vielleicht war das ein wenig streng von mir, aber eigentlich durften sie mir überhaupt nichts sagen. Ich hatte nun mal schon eine Mama und einen Papa für so etwas. Noch eine Person, die sich einmischen wollte, war mir einfach zu viel.

Inzwischen hat sich sehr vieles geändert. Ich bin jetzt siebzehn Jahre alt und nachdem ich ungefähr 13 Jahre mit kurzen Unterbrechungen immer von einem Elternteil zum anderen gewechselt bin, habe ich letztes Jahr eine der bestimmt schwersten Entscheidungen in meinem Leben getroffen und mich dafür entschieden, nur noch bei einem Elternteil zu leben.

Ich kann mich nicht mehr genau an den Auslöser erinnern, aber plötzlich war dieses Gefühl da, dass sich etwas verändern muss. Mama und Papa haben mich verstanden und es überraschend gut aufgenommen, dass ich nicht mehr abwechselnd bei dem einem oder anderen leben wollte. Nun musste ich mich entscheiden, wo ich leben wollte. Über zwei Monate habe ich dafür gebraucht. Ich wusste genau, was mich bei dem einen oder dem anderen erwartete. Ein eigenes Zimmer hatte ich bei Papa sowie bei Mama. Mama hatte jetzt einen Freund mit zwei Söhnen, die immer am Wochenende vorbeikamen und mit denen ich mich nicht besonders gut verstand. Bei Papa gab es noch meinen kleinen Bruder, den ich immer vermisste, wenn ich ihn nicht sah. Und natürlich auch immer wieder die Frage: Sollte ich wirklich etwas beenden, dass solange so gut geklappt hatte? Am Ende entschied ich mich für meine Mutter. Natürlich nicht nur. Jedes zweite Wochenende bin ich bei meinem Papa, seiner neuen Freundin und meinem kleinen Bruder, der jetzt auch immer wöchentlich zwischen zwei Elternhäusern hin und her wechseln muss.

Eigentlich finde ich, kann sich jedes Trennungskind ziemlich glücklich schätzen, wenn es die Möglichkeit hat, regelmäßig noch beide Elternteile zu sehen. Bei mir lag es, glaube ich, irgendwann einfach am Alter, dass ich so nicht weitermachen wollte. Wenn man klein ist, ist das alles irgendwie aufregend. Immer, wenn es irgendwo langweilig ist oder man sich mit einem Elternteil gerade ein bisschen in den Haaren hat, wechselt man einfach den Ort.

Aber als ich älter geworden bin, wurde plötzlich auch alles andere anstrengender und komplizierter wie z. B. die Schule, und dann wünscht man sich einfach Ruhe. Es hat mich zu viel Kraft gekostet, immer wieder hin und her zu wechseln, immer wieder alles einzupacken und auszupacken, Diskussionen zu führen, die ich gerade schon geführt hatte. Und auch Zeit: Ich hatte plötzlich das Gefühl, jedes Mal, wenn ich mich bereit machte für eine neue Woche an einem anderen Ort, ging immer ein ganzer Tag verloren. Eben der Tag, an dem man wechselte. Ungefähr nach einem Monat war mir dann klar, dass es bei Mama sein sollte. Bestimmt noch einen ganzen Monat dauerte es, bis ich es auch vor meinem Papa eingestehen konnte. Ich hatte solche Angst vor dem, was sich verändern würde. Ich wusste, dass ich bei Papa jetzt mein eigenes Zimmer aufgeben musste, das ich noch vor einem Jahr so schön neu eingerichtet hatte. Außerdem gab es da noch meinen Stiefvater bei Mama, mit dem ich jetzt sicher öfter aneinandergeraten würde. Und wie würde sich das Verhältnis zu meinem kleinen Bruder und meinem Papa ändern?

Trotzdem ist alles gut verlaufen. Ich kann immer noch nicht sagen, warum ich mich dafür entschieden habe, nur noch bei meiner Mutter zu leben, aber ich glaube, es ist ganz gut so, wie es jetzt ist. Das Verhältnis zu meinem Vater und meinem kleinen Bruder ist nur noch besser geworden. Ich freue mich immer sehr, sie zu sehen. Und mit meiner Mutter und ihrem Freund gibt es jetzt zwar öfter mal Streit, aber das ist, glaube ich, eines der wichtigsten Dinge, die ich nach der ganzen Zeit noch lernen muss: Mich nicht immer vor einer Konfrontation zu drücken. Nicht immer einfach den Ort wechseln zu können, wenn es mal Probleme gibt. Insgesamt ist es trotzdem die beste Lösung für mich in meiner Kindheit gewesen und ich bin sehr froh, dass diese Regelung auch für meinen kleinen Bruder übernommen wurde. Nur manchmal frage ich mich, ob es auch für ihn irgendwann nicht mehr das Richtige sein wird.