Zeich-Voegel

Die Trennung vom Vater der Kinder war 1995/96, damals war ich 35 Jahre und die Söhne waren sechs und neun Jahre alt. Mein Ex-Mann war nicht der leibliche Vater von meinem älteren Sohn, aber dieser war ein ¾ Jahr alt, als wir zusammenkamen. Getrennt haben wir uns, weil mein Mann eine neue Frau kennengelernt hat. Wir entschieden gemeinsam, die Kinder im Wechsel und jeweils zur Hälfte zu betreuen, also für das, was man heute Wechselmodell nennt. Für meinen Ex-Mann war es unvorstellbar, seine Kinder nur am Wochenende zu sehen und für mich auch, weil ich dachte, ich würde vollkommen durchdrehen, wenn ich mit den Kindern alleine dasäße. Das Verhältnis der Kinder zum Vater war so eng, dass eine begrenzte Umgangsregelung auch für sie eine Zumutung gewesen wäre. Also suchte ich mir in der Nähe eine Wohnung, sodass die Schule zwischen unseren beiden Wohnungen lag. Ich konnte das alles nur machen, weil mein Verdienst entsprechend gut war, da jetzt vieles doppelt angeschafft werden musste: zwei Wohnungen, zwei Kinderzimmer inklusive Einrichtung, doppelte Kassettenrekorder, später Computer, Kleidung etc.

Der Umgangswechsel fand immer freitags nach der Schule statt, was ich nur empfehlen kann. Das hatte den entscheidenden Vorteil, dass es nie diese typischen Trennungssituationen gab, wo man sich an der Haustür verabschieden muss.

Einmal im Monat gab es ein Treffen zu viert, bei dem die Termine für die nächsten vier Wochen abgestimmt wurden und jeder sagte, was er will und was er nicht will, was er gut findet und was nicht. Sobald Dinge konflikthaft wurden, wollten die Kinder, dass wir und nicht sie entscheiden.

In der Anfangsphase musste ich schwer daran arbeiten, dass die Kinder mir gegenüber kein schlechtes Gewissen haben, weil es mir nicht gut ging. Ich hatte das Gefühl, dass mein Ex viel besser drauf war: Gemeinsame Freunde entschieden sich für ihn, er hatte eine neue Frau, wohnte weiter in seinem eigenen Haus mit seinen Eltern, Garten und allem Pipapo. Ich denke, unsere beiden Söhne haben unser Dilemma gespürt und auch darunter gelitten: Die Trauer, die Verletzungen, die unterschiedliche Befindlichkeiten im Trennungsprozess.
Die Kinder leiden natürlich mit. Es ist uns nicht immer gelungen, unsere Kinder aus unserem Stress und den Streitereien herauszuhalten. Ich habe mich dafür immer sehr geschämt und musste viel an mir arbeiten.
Auch habe ich mich am Anfang häufig erkundigt, wie die Woche beim Papa gewesen sei, aber darüber wollten die beiden gar nicht reden. Sie sagten immer: „Weißt du Mama, wenn etwas nicht schön war, erfährst du das schon. Du möchtest doch auch nicht, dass Papa uns ausfragt.“ Ich habe es bald geschafft, auch das einzustellen und nicht nach Schreckensszenarien zu fragen, wie beispielsweise, ob es bei Papa schöner ist, oder sich Gedanken zu machen, wie: „Oh, ich muss auch mal wieder mit den Kindern ins Kino oder ihnen tolle Sachen schenken“ oder „Ah, der macht schönere Sachen“.

Anfangs war es ganz schön schwierig, samstags aufzuwachen und die Kinder waren weg. Der durch die Kinder auferlegte Tagesrhythmus und die Zwänge haben ja durchaus auch etwas Entspannendes, weil ich gar nicht darüber nachdenken muss, was ich mit der ganzen freien Zeit mache. Aber ich lernte relativ schnell, mich an meinen freien Wochen zu erfreuen: Da konnte ich mich abends mit Freunden treffen, ins Kino oder Theater gehen und ausschlafen, musste nicht zum Fußballplatz, keinen Großeinkauf machen und konnte einfach mal nix tun. Vor allem aber konnte ich mich in meiner freien Woche endlich ohne schlechtes Gewissen meiner Arbeit widmen. Das war schon ein Gewinn an Freiheit.

Im Nachhinein würde ich versuchen, mich noch mehr zusammenzureißen. Ich habe ein paarmal zu oft vor den Kindern geweint und dafür schäme ich mich. Bei allem Bemühen habe ich am Anfang trotzdem zu viel über den Vater geschimpft. Aber wer ist schon heilig? Die schlimmste Trauerphase war ungefähr nach einem Jahr vorbei, als alle Familienfeste einmal um waren.

Als der ältere Sohn circa 12 Jahre alt war, wollte er selbst entscheiden können und nur noch alle zwei Wochen beim Vater sein, aber er traute sich nicht, ihm das zu sagen. Da dieser Wunsch von ihm so nachhaltig und vehement vorgetragen wurde, sah ich keine andere Möglichkeit, als mich auf mein alleiniges Sorgerecht zu beziehen, um dem Wunsch unseres Sohnes nachzukommen.
Für den Jüngeren war es ein großer Konflikt, jetzt alleine dort zu sein. Er hatte das Gefühl, das sei dem Vater gegenüber nicht gerecht. Ich sagte ihm, er könne, wenn er es ausprobieren wolle, ruhig mehr Zeit bei seinem Vater verbringen. Als er wusste, dass er das einfach sagen kann, war alles gut. Ich war mir ziemlich sicher, dass es für ihn nur darum ging, diese Freiheit zu haben und dass ich nicht böse wäre und keinen Stress machen würde.

Als mein Mann mit seiner Frau drei Jahre später das nächste Kind bekam, lud ich die drei zum Frühstück ein, später auch zur Konfirmation und zum 18. Geburtstag unseres Sohnes. Ich hab nie so getan, als wäre das mein Wunsch oder als fände ich das besonders schön. Aber ich wollte den Kindern zeigen, dass ich akzeptiere, dass es um sie und ihre Familie geht, zu denen der väterliche Teil natürlich dazugehört.

Sukzessive haben wir aufgehört, über Dinge im Familienrat zu sprechen. Nur als der Ältere mit 16 verschiedene Probleme hatte, führten wir es für ein Jahr nochmal ein, bis diese Probleme gemeinsam gelöst waren.

Ob das Wechselmodell für die beiden schwierig war oder nicht, darüber reden sie kaum. Sie wirken jedoch überhaupt nicht so, als hätten sie schwer darunter gelitten. Sie haben zu beiden Elternteilen eine gute, aber auch individuelle Beziehung, sind super geraten und lachen sich immer kaputt, wenn ich auf mögliche „Schäden“ zu sprechen komme, die wir als Eltern angerichtet haben könnten: „Oh Mann, Mama! Nicht schon wieder! Da gibt es nichts, alles ist gut gewesen, wir waren glückliche Kinder!“

Ich bin sicher, der Versuch ein Wechselmodell zu wagen, ist nicht für alle, aber viele Kinder gut. Es spricht für Größe und Toleranz, die Kinder auch weiterhin mit dem Vater teilen zu können, sie gehen zu lassen, ohne zu krallen und ihnen die eigene Angst mitzugeben. Größere Liebe kann man dem Kind doch gar nicht zeigen, als zu wissen: Ich lass dich gehen und ich vertraue dir, dass du mich deshalb nicht weniger lieb hast. Und ich habe dich deswegen auch nicht weniger lieb.